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Hassfurter Tagblatt, 21.5.04
Menschheit der Schlachtfelder selbst schlachtreif
Interview mit Karlheinz Deschner
Hassfurt. Karlheinz Deschner ist einer der bekanntesten Kirchenkritiker
unserer Zeit. Er lebt in Haßfurt und wird am Sonntag 80. Jahre alt.
Aus diesem Anlass werden Stadt Haßfurt und Landkreis Haßberge
im Rahmen eines Empfangs im Bürgerbüro im Alten Rathaus einen
ihrer berühmtesten Söhne ehren. Im Vorfeld dieser Ehrung meldeten
sich mehrere Bürger der Kreisstadt zu Wort, die einen solchen Empfang
auf Grund der kirchenkritischen Einstellung des Schriftstellers als Affront
gegen den christlichen Glauben sahen. Aus diesem Grund führte die
Heimatzeitung mit Karlheinz Deschner ein Interview, um die Ansichten des
als Querdenker bezeichneten Haßfurters einmal genauer vorzustellen.
Herr Deschner, Sie bezeichnen sich als Agnostiker. Was ein Atheist
ist, wissen die meisten Menschen, aber was ist ein Agnostiker?
Ein Agnostiker lässt die großen Welträtsel, die metaphysischen
Fragen, vor allem die nach Gott, einem jenseitigen Fortleben, der Unsterblichkeit
der Seele, unbeantwortet, weil wir darüber nichts wissen können.
Wer das Gegenteil behauptet, lügt von vornherein. Unser Gehirn, ohnedies
kein Erkenntnis-, sondern ein Anpassungsorgan, ist dafür völlig
untauglich. Genauso gut, sagt Darwin, könnte ein Hund über den
Verstand Newtons spekulieren. Womit ich nichts gegen Hunde gesagt haben
möchte. Nicht ich, eine berühmte Christin, Marie von Ebner-Eschenbach,
schrieb: Von hundert Menschen mag ich einen, von hundert Hunden neunundneunzig.
Und Freigeist Preußenkönig Friedrich II. ließ sich neben
seinen Hunden bestatten.
Glauben Sie nicht, dass Sie sich als Agnostiker eigentlich in guter
Gesellschaft befinden - auch inmitten von Christen? Ist es nicht so, dass
viele Menschen gerne an einen gnädigen Gott glauben wollen, aber
- enn sie zu sich ehrlich sind - doch allzu viele Zweifel zumindest an
der Religion haben?
Sie haben ganz recht damit, dass viele glauben möchten, doch all
zu viele Zweifel haben - "wenn sie zu sich ehrlich sind". Spätestens
seit Nietzsche aber wissen wir, dass das Belügen anderer die relative
Ausnahme, das Sichselbstbelügen die Regel ist.
Man könnte Ihr Buch "Und abermals krähte der Hahn"
als "kleine Einführung oder Einmaleins für den Kirchenkritiker"
bezeichnen. Welchen Leser haben Sie denn _ auch mit der "Kriminalgeschichte
des Christentums" im Auge? Sind diese Werke nicht auf einem Niveau
geschrieben, dem nur Intellektuelle folgen können?
Also, in aller Unbescheidenheit _ nur Lumpen, meint Goethe, sind bescheiden
_, so "klein", das bestätigten gerade viele Fachtheologen,
ist "Abermals krähte der Hahn" weder in seinem Umfang noch
Gehalt. Immerhin habe ich fünf Jahre lang rund fünfundzwanzigtausend
Stunden daran gesessen. Eine "Einführung" in die Geschichte
des Christentums, zumal in die Grundlagen, aber ist es und als solche
wohl besser geeignet als andere Bücher von mir. Übrigens auch
leichter zu lesen.
Ja, Leser, fragen Sie. Beim Schreiben habe ich überhaupt keinen Leser
im Auge. Ich denke nur an das, was ich sagen will, und ich mühe mich,
es so gut, das heißt so klar und komprimiert zu sagen, wie ich eben
kann. Alfred Döblin schrieb einmal, ein Schriftsteller, der beim
Schreiben auch nur einen Blick über die Schreibtischplatte hinaus
wirft, hat die Partie schon verloren. Unter meinen Lesern, inzwischen
durch fast fünfzigtausend Zuschriften belegt, sind sämtliche
Schichten der Gesellschaft vertreten, auch, was mich besonders freut,
Arbeiter; natürlich solche, die nachdenken, nicht nachbeten.
Was hat Sie denn einst dazu bewogen, Theologie zu studieren: Wollten
Sie den "Gegner" ausloten oder waren Sie anfänglich überzeugter
Christ? Wenn ja, was hat die Wende in Ihrem Leben ausgelöst, gab
es ein Schlüsselerlebnis?
Nun, im Grunde bin ich leidenschaftlicher Autodidakt. Aber ich studierte
neben meinen Hauptfächern (Neue deutsche Literaturwissenschaft, Geschichte,
Philosophie) auch ein paar Semester Theologie, nicht um Theologe zu werden,
sondern so, wie ich auch ein paar Semester Jura studierte oder ein paar
Semester Psychologie, einfach aus Interesse. Ich war gläubiger Christ,
solang ich nicht gedacht, sondern _ was man ja aus bösem Grund soll
_ geglaubt habe. Als ich anfing zu denken, spät genug, glaubte ich
nicht mehr, ganz ohne Schlüsselerlebnis. Entscheidend wurde für
mich die Lektüre dreier Philosophen während meiner Studentenzeit:
Kant, Schopenhauer und Nietzsche. Das reichte mir. Und es müsste
jedem Denkenden reichen, wenn er auch redlich ist.
Noch ein Stück weiter zurück: Haben Sie ihre Jahre als Soldat
nachhaltig geprägt? Welche Erkenntnisse haben Sie aus dieser Zeit
gewonnen?
Ich war - aufgrund meiner schulischen Erziehung - 1942 Kriegsfreiwilliger,
wie meine ganze Klasse. Ich kehrte, zweimal verwundet, als dezidierter
Pazifist aus dem Krieg zurück und schrieb in mein erstes Buch, "dass
die Menschheit Rekruten braucht, Menschen, die zum Totschießen anderer
Menschen erzogen werden, ist ein großes Armutszeugnis für sie,
Soldaten sind eine unsterbliche Schande für die Menschheit, eine
unsterbliche Schande...".
Wann haben Sie denn das erste Mal so richtig Ärger mit der (katholischen)
Kirche bekommen?
Ich? Den Ärger mit ihrer Geschichte mal beiseite - nie. Sie Ärger
mit mir: das erste Mal - doch ich hoffe, dass ich ihr noch sehr, sehr
lange ein Ärgernis sein werde, am 11. Januar 1952, als der Würzburger
Bischof zu seinem "größten Schmerz" und in "Kraft
Unserer Oberhirtlichen Vollmacht und Gewalt" meine Exkommunikation
verhängte. Und war es nicht dieser Bischof, ich weiß es jetzt
wirklich nicht, dann war es sein Vorgänger, der noch im 6. Kriegsjahr,
kurz bevor Würzburg in Schutt und Asche sank, schrieb: "Stellt
euch aber auch auf Seiten der staatlichen Ordnung...! Im Geiste des heiligen
Bruno darf ich euch zurufen: Erfüllet gerade in Notzeiten eure Pflichten
gegen das Vaterland! Denkt an die Mahnung des heiligen Paulus... Nehmet...
alle Heimsuchungen auf euch, Gott zu lieb! Diese Opfer werden dann Sprossen
in eurer Himmelsleiter."
Ihre Auseinandersetzungen mit der katholischen Kirche reichen jetzt ja
schon Jahrzehnte zurück. Hat sich Ihrer Meinung nach die Kirche seit
den 50-er Jahren weiterentwickelt?
Ja - wenn Sie darunter verstehen, dass der Bischof jetzt auch "Herr
Bischof" genannt werden, der Pfarrer auch Zivil, die Nonne kürzere
Röcke tragen, dass Jazz sogar in der Kirche gespielt werden kann.
Ja, wenn Sie darunter verstehen, dass man sich inzwischen den Zeiten etwas
anpasst, wie vorher anderen Zeiten, dass man sich also etwas toleranter
gibt, demokratisch, um dies dann, kein Zweifel, bei nächstbester
Gelegenheit rückgängig zu machen, wie nicht zum ersten Mal in
der Geschichte. Nein aber, wenn Sie Weiterentwicklung im Sinn eines aufklärerisch-humanen
Fortschritts verstehen, denn dann müsste die Kirche von sicher selber
fortschreiten, dann wäre sie nicht mehr, was sie war und ist und
was genau zu definieren mir das Strafgesetzbuch verbietet.
Wenn Sie am Sinn unseres Daseins ganz allgemein zweifeln, warum machen
Sie sich dann eine so große Mühe mit Ihrer Kritik nicht nur
an der Kirche, sondern etwa auch an der Weltmacht Amerika. Was ist Ihr
Lebensziel, in wessen Namen sprechen Sie, wessen Anwalt sind Sie?
Ich bin nun einmal einerseits davon überzeugt, dass sub specie aeternitatis,
der Ewigkeit, wie ich betone, all unser Werken und Wirken nur ein Danaiden-,
ein Sisyphustun ist, unsere ganze großartige Geschichte sternschnuppenhaft
verglühen wird, kurz, dass all dies, Wissenschaft und Kunst und Weltreiche
und Weltreligionen und die immer katastrophalere Welt und Mensch verwirtschaftende
Weltwirtschaft, letztlich für die Miezekatz ist. Einerseits, wie
gesagt. Und unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit. Andererseits aber, von
heute auf morgen, halte ich es mit Goethe: Was ist deine Pflicht? Die
Forderung des Tages. Das ist für mich meine Arbeit. Sie aber geschieht
nur in meinem Namen. Und sie geschieht, nach meinen geringen Kräften,
vor allem für die Schwachen, die Unterdrückten, genau für
jene große Menschengruppe, für die bekanntlich auch der synoptische
Jesus eintritt, während ihn die Kirche, die sich auf ihn beruft,
spätestens seit dem 4. Jahrhundert fortgesetzt verraten hat.
Sie gehen mit Ihren Gegnern sehr hart ins Gericht, man hat den Eindruck,
dass Sie oft verbissen und verbittert sind: Etwa, wenn Sie Historiker
als Arschkriecher und Geschichtsverfälscher bezeichnen (obwohl doch
derzeit sogar "gläubige" Vor-und Frühgeschichtler
massiv an den Fundamenten etwa des Alten Testamentes rütteln). Steht
man denn mit 80 Jahren nicht über den Dingen, kann man sich da nicht
manchmal milde lächelnd zurücklehnen?
Die meisten Geschichtsschreiber schrieben immer nur im Sinn der Herrschenden,
mit verheerenden Folgen. Der größte Teil der Menschen spielte
für sie überhaupt keine Rolle, das ist die schlimmste Rolle,
die man spielen kann. Und auch heute noch tut das Gros der Historiker
so, als sei der Dreck der Vergangenheit der Humus für künftige
Paradiese. Und wie sollte ich "über den Dingen" stehen,
wenn Millionen und Abermillionen Menschen, auf deutsch gesagt, mitten
in der Scheiße stehen, ohne Arbeit, ohne Brot, vor dem Verhungern,
im Krieg, rundum und unentwegt belogen und betrogen?
Wenn Ihnen eine gute Fee zum 80. Geburtstag drei Wünsche schenken
würde, würden Sie uns verraten, welche wären es?
Einmal wünschte ich einen dauerhaften, einen ewigen Frieden für
Mensch u n d Tier. Denn eine Menschheit, die fortgesetzt Schlachthäuser
und Schlachtfelder verkraftet, ist selber schlachtreif. Mein zweiter Wunsch
wäre, dass Sie mich, mit achtzig Jahren beinahe noch so intensiv
in die Arbeit eingespannt wie mit vierzig oder sechzig, von der Beantwortung
eventuell eintrudelnder Leserbriefe dispensieren, besonders von solchen,
deren Verfasser schon durch ihren Beruf verhindert sind, sich gründlich
mit den Dingen zu beschäftigen, um die es hier geht. Und den dritten
Wunsch, sehr geehrter, lieber Herr Sage, überlasse ich freundlichst
Ihnen selbst.
Das Interview führte Martin Sage.
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