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Leseprobe

Dornröschenträume und Stallgeruch
Rothenburgs arme Verwandte am Main

 

Sie lieben Rothenburg? Das fränkische Mekka der Bildungswallfahrer? Sein smartes Panorama mit Tauber-Doppelbogenbrücke? Die kalte Pracht. Geradläufigkeit, Gleichwüchsigkeit, Schaustellerei das Reichsstadtdornröschen als Prostituierte?

Dann fahren Sie erst gar nicht zu den kleinen Perlen um den Main - längst nicht so imposant, so makellos. Entfernt verwandt nur, mehr sich gehenlassend, doch echter vielleicht, ursprungsnahe noch. Von Touristenkarawanen, von Geschäftsgier kaum verdorben. Nicht jedes Ziegelehen und Gräschen numeriert und auf Effekte hin gesetzt, wie im deutschen «Pompeji». Nichts opernhaft Herausgeputztes, kein steter Strom der Gaffer. Kein Paradehochglanz, bestimmt für hunderttausend Fotoapparate, den Obolus der Pilger.

Nein, fast allein bummeln Sie oft, und vieles so ungeleckt hier, so wenig pompös, museumsreit. Nur ab und zu Partien wie aus einem Bilderbuch. Idyllen des Spätmittelalters. Und immer wieder schnuppern Sie, weil's herrlich nach Land stinkt, auch Kuhställe gibt, mistaufladende Bauern. Breithingetellert alles, wie vergessen beinah, zwischen Pappeln stehngelassen und Kastanien, in Nebelabendwiesen, Rotüberziegeltes, weiherverschilft aufgesogen vom Frühsommerlicht, vermdampfend fast im Arm eines Weinhangs, am sanft gebognen Flußlauf, Nester im Schwung einer Erdfalte, jäh kirchturmüberspitzt, nahbaumumkuschelt.

Sagen wir, Sie kommen von Bamberg, durch den Steigerwald, Felder, obstbaumüberkugelt, schmalhüftige Gründe, hochstehende Wiesen, grüne Hühenstraßen, langhin nur in Laub verrannt. Doch bevor Sie, zwischen Zabelstein und Schwanberg, in die fast waldlose Ebene tauchen, werfen Sie noch einen Blick auf mein gelobtes Land, einen langen Blick, am besten zu verschiedenen Tages-, Jahreszeiten, unter wechselnden Beleuchtungen.

Vom Zabelstein etwa, wo das Turmholz so wild nach Teer riecht, nach Hafen - und dort sind Schiffe, dort sind Schiffe.. ., wo's über Wipfel, dämmerstill, arg windbewegt, schwülmittäglich ins Flache sinkt, vertropft in kleinen Feldgehölzen, ins fern und ferner Verrinnende steigt. Leuchtende Rapsflächen, gelbe Handtücher, am Horizont baumelnd, dichteingebuschte Dörfchen, Wege, bachlaufhaft gewunden, ein blauäugiger Weiher, ach, die Jugend meiner Mutter liegt da, Apfelbäume, Schattenbälle wie aus Samt unter sich, Traumtänzer, einen Augenblick innehaltend. Manchmal in apokalyptischem Licht auch, in einen Sturmhimmel geschleudert. Oder nebelverschluckt, nicht ganz geheuer, dämonendurchgeistert, matt herausragende Inseln. Mal im Gegen-, im Zwielicht, Frühsonnenschein, im Goldschnitt eines Herbsttags, schneepelzvermummt - doch wie oft ich auch hier stand, zu selten. . .

Oder Sie sehn, schöner, am schönsten, vom Weinberg über Handthal; meine späte Liebe - und unten die Jugend diesmal meines Vaters ...

Dann im Café des Schwanbergs wie in einem Waldvogelnest, während es, südlich, leicht toskanisch schon, hinabflügelt und schwerelos an einen Himmel schwingt, der nirgends beginnt, Dächer zerstaubt beinah, in Luft aufgelöst, ein Kuckucksruf wie vom Dunst ausgestoßen...

Und in den alten Orten dort döst alles, nickt ein.

Das hat seine Tagträume, seine Schlafwandler. Sooft ein Mensch naht, ist man fast überrascht in einer Welt, wo man, dem Augenschein zum Trotz, zuweilen zweifelt, daß es sie gibt. Wer wollte hier hausen? Doch man kommt wieder und wieder, durchschlendert die Vergangenheit, die da herumsteht, uns anstarrt, wie wir selbst sie anstarren, ungläubig, verzückt, mit gelindem Grausen. Gespensterromantik.

Gleich am Schwanbergfuß: Iphofen - von fernen Zügen wie auf Seide umglitten und minutenlang zu sehn ... Nah ziemlich herb, eher unschön. Ein erstaunlich weiter Marktplatz, ein barockes Rathaus, das sich verirrt zu haben scheint, so prätentiös posiert es da, noch überhöht von dem Chor, dem Turm einer Kirche, deren Ahnin schon 742 stand. Iphofen, bereits frühfränkisch, hat, wie so vieles am Main, die «große» Geschichte oft heimgesucht, versehrt. Wer ahnt's, daß sein verschlafner Marktplatz Soldaten schon aus Preußen, Frankreich, Rußland und Amerika sah? Daß Würzburgs Bischof im Juni 1525 hier die Köpfe von acht Freiheitskämpfern rollen ließ, nachdem Bürger und Bauern das Kloster Birklingen zerstört? Allein 1632 wurde Iphofen vierzehnmal geplündert. Und nicht nur einmal kam der «Schwarze Tod», hat man das «Pesttor» auch um 1600 zugemauert.

Drei andere Eingänge, die eigentlichen Attraktionen, blieben.

Bizarr das Rödelseer Tor. Ein verwackelter Fachwerkbau, vierteilig, abenteuerlich lustig zusammengestückelt, zwischen dessen so ungleichen Türmendem langen Zipfelmützenphilipp und dem kurzen, mit verrutschtem Kopf und Käppi wie nach innen kippenden, ersichtlich außer Fassung gebrachten Randstummelchen - etwas Blauhimmel im Torbogen hängt, und rundherum fast alles eingemulmt in Baumiges, Buschiges. Am besten, man schlägt sich da gleich selbst ins Grüne, streift um den Stadtgraben, wo lphofen fast nicht zu sehen und darum, es möge mir verzeihen, am schönsten ist. Nur über den Laubgürtel hin, über wild aus dem Graben Wucherndes, Blühendes noch knapp Türmchenüberragtes, hoch, höher, spitzer, am spitzesten. Irgendwann der schlanke Eulenturm, wo einst der Wächter rief, während unten im Verlies lebenslang Eingekerkertes verfaulte. Romantisch, romantisch! Das fast freundliche Markt Einersheimer Tor. Und das wuchtige, ganz in Pappeln und Birken vergrabene Mainbernheimer Tor, traurigtrotzig, voller Falten, Risse. Daneben geistert, graugelbverblaßt, die Spitalfassade aus den Bäumen, blind die Fenster, zerbrochen, wie verweint. Auf dem Dach, beinah reglos, ein Taubenschwarm. Träges Gegurr, dünne Turmuhrschläge. Zeit vielleicht, einen Iphöfer zu nehmen, auch zwei - fühlen Sie sich «fein», im «Zehntkeller» natürlich, wo 1930 «der berühmte Komponist Generalmusikdirektor Prof. Dr. Hans Pfitzner» wohnte, ein ohne Frage untadeliges Haus, das aber mindestens nach Rothenburg gehört.

Nebenbei: Auch Elisabeth II., Königin von England, ließ sich einen 1950er «Julius Echterberg» kommen; zugegeben, nicht im «Zehntkeller». Und auch bei dero allerhöchstem Besuch in München (1965), renommiert lphofen, wurde ein 1959er «Kronsberg» gereicht. «Des mehrteils nahrung steet uf dem weinwachs», konstatierte 1476 eine Stadtordnung. Und noch im siebzehnten Jahrhundert hat man hier das «Bierpreuen» streng verpönt. Lieber als im «Zehntkeller» jedenfalls oder an der Themse, von München zu schweigen, hocke ich in einem Kneipchen am Marktplatz, das zum Ganzen paßt, es sozusagen verinnerlicht, konzentriert, wie die Türme draußen.

(...)

 

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Diese Seite wurde zuletzt aktualisiert am 23.12.2003 - Änderungen vorbehalten -